Generalisten und die eigene Akzeptanz

Folgender Artikel wurde durch B. Slaghius veröffentlicht und behandelt ein Thema, dem ich in Karrierecoachings oft begegne.

GeneralistenSie können alles etwas, aber nichts richtig. Über die wahren Stärken von Generalisten und die eigene Akzeptanz, dass es reicht. Plus fünf aktuelle Tipps für Generalisten als Jobwechsler in der Corona-Krise. 

„Weiß ich genug – kann ich genug – bin ich gut genug?“

Diese Gedanken gehen vielen der Alles-etwas-und-nichts-richtig-Könnern durch den Kopf, wie sich Generalisten gerne selbst bezeichnen. Sie sind vielseitig interessiert, oftmals breit ausgebildet und schon länger im Beruf haben sie etliche Branchen und Berufe kennengelernt. Sie mögen das Abenteuer und hassen Routine, ihnen wird schnell langweilig, sie sind ständig hungrig auf Neues und mehr die Hands-on-Macher als tiefgründigen Denker.

So vergleichen sie sich unermüdlich mit den echten Spezialisten, den leidenschaftlich bis ins letzte Detail auf den Grund Gehern. Jenen, die wissenschaftlich empirische Forschung zu einem Thema betrieben haben oder sich in ihren Berufen seit Jahren mit keinem anderen als ihrem Gebiet beschäftigen. Als Ingenieur für Aluminium-Spritzguss-Anlagen, promovierter Numismatiker, erfahrener Papyrologe oder Experte für Erbschaftssteuer in Latein-Amerika. „Ach, was wäre es doch schön, auch Experte in einem Gebiet zu sein“, höre ich die Generalisten unter Ihnen in diesem Moment im Stillen denken.

Wenn Generalisten sich selbst im Weg stehen

Denn alle typischen Generalisten plagt das dumpfe Gefühl, nicht genug zu wissen, bei Fragen überfragt zu sein und im Vergleich mit ihren Spezialisten-Kollegen unwissend verunsichert immer etwas hintenan zu stehen. Sie wissen genau, dass es irgendwo jemanden auf der Welt gibt, der mehr über ein Thema weiß. Generalisten bekommen es täglich in ihren Jobs zu spüren, wenn sie zu Fachthemen nicht gefragt und gehört werden, jedoch lieber die nächste Weihnachtsfeier organisieren sollen. Und sie bekommen es immer dann besonders schmerzlich zu spüren, wenn sie im Wettbewerb der Karrieren stehen. Wenn der Fachexperte mit blendender Expertise zur Führungskraft befördert wird oder der Spezialist mit tiefrotem Faden im Lebenslauf am Ende das Rennen um den neuen Traumjob gewinnt.

Im Bewerbungscoaching habe ich in gefühlt 98 Prozent aller Fälle Generalisten mir gegenübersitzen. Weil sie so sehr breit interessiert nicht wissen, welche Jobs wie für sie gemacht sind und bei der Suche den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Weil der rote Faden ihrer Lebensläufe kunterbunt ist und sie für Recruiter auf den ersten schnellen Blick schwer greifbar sind. Und weil sie als Bewerber spätestens nach der ersten Absage selbst fest davon überzeugt sind, für jeden Job auf dieser Welt niemals gut genug zu sein. Schließlich seien sie doch auch bisher immer einfach so in neue Jobs reingerutscht, erzählen sie mir häufig im Coaching.

Gelüste, den Alleskönner in sich zu verdammen

Im Gespräch mit ihnen habe ich oft das Gefühl, als ob sie den Generalisten in sich sträflich verdammen und am liebsten sofort um die Ecke bringen möchten. Eine logische Konsequenz für all jene, die Spezialisten an sich schmerzlich haben vorbeiziehen sehen oder zu spüren bekommen haben, dass sie es als Bewerber schwerer haben. Eine logische Konsequenz jedoch auch für all jene, die sich so als Mensch nicht akzeptieren, selbst klein machen und dem doofen Generalisten in sich die Schuld dafür geben, dass das Leben so schwer ist.

Liebe Generalisten, nur mal angenommen, es wäre doch vielleicht ganz gut, so veranlagt zu sein – was könnte das Positive daran sein? Und mal angenommen, auch Generalisten können im Beruf erfolgreich sein – was wären es für Jobs? Ich bin mir sicher, dass jede und jeder von Ihnen als typische Generalisten auf der Stelle viele Dinge durch den Kopf schießen, die Sie in Ihrem Beruf und ebenso im privaten Lebensumfeld als Mensch positiv ausmachen und einbringen.

Tausendsassa sein ist auch eine Stärke

Denn Generalisten sind wahre Flexibilitäts-Meister, sie können sich schnell auf immer neue Situationen und Anforderungen einstellen. Sie sind Alltags-Wupper und Bälle in der Luft Halter. Es fällt ihnen leicht, mit Weitblick und analytischer Stärke strategisch zu denken und neugierig über Tellerränder hinaus zu blicken. Es macht ihnen Freude, neue Perspektiven ins Gespräch zu bringen sowie Menschen und Themen miteinander zu verbinden. Sie sind Moderatoren, aktivieren als Gestalter und kreative Ideengeber. Generalisten sind einfach Tausendsassas.

Sobald ich mit Generalisten im Coaching auf ihre persönlichen Stärken schaue und wir einen Blick auf die sich ausnahmslos immer offenbarende Vielfalt werfen, spätestens dann tut es jedem meiner Klienten schmerzlich leid, eben noch den Generalisten in sich am liebsten in die Wüste geschickt zu haben.

Es sind andere Stärken, die Menschen als Generalisten im Vergleich zu Spezialisten ausmachen. Für mich gibt es im Unterschied kein pauschales Besser oder Schlechter. Während der Spezialist oft über stark ausgeprägte Stärken einer Richtung, etwa als kreativer Erfinder oder kritischer Prüfer verfügt, vereinen Generalisten meist viele Stärken unterschiedlicher Stärkenrichtungen als Denker, Kommunikator, Koordinator und Steuerer – von allem etwas.

Wird es irgendwann Zeit, Spezialist zu werden?

Viele Angestellte, die schon einige Jahre im Beruf sind und bisher eher als Generalisten unterwegs waren, fragen sich oft und insbesondere zum Zeitpunkt einer beruflichen Veränderung, ob sie nun endlich auch zum Spezialisten in einem Gebiet werden müssen, um in Zukunft weiterhin erfolgreich zu sein.

Es ist nur so ein Gedanke, doch im gleichen Augenblick signalisiert ihr Bauch, dass es sich falsch anfühlt. Denn die meisten Generalisten haben überhaupt keine Lust darauf, sich auf ein Thema zu fokussieren, sich tief darin einzugraben und das Drumherum gezielt zu übersehen.

Es kommt ihnen vor wie der freiwillige Einzug in eine triste Gefängniszelle – mit schweren Ketten für immer und ewig als Spezialist an ein Thema gefesselt. Nein, die gezielte Transformation vom Generalisten zum Spezialisten wäre für viele geborene Alleskönner sich untreues Verbiegen – und damit auf Dauer vermutlich auch ungesund.

Spezialisten suchen Stellen, Generalisten finden Arbeitgeber

Wenn ich mit Jobwechslern über ihre Werte im Beruf und hierzu passende zukünftige Zielpositionen spreche, dann fällt mir bei vielen Generalisten auf, dass es nicht die Position, die Inhalte und Tätigkeiten selbst sind, die über Erfolg und Zufriedenheit im Job entscheiden, sondern das zu ihrem Persönlichkeitstyp passende Arbeitsumfeld:

Die meisten Generalisten benötigen ein gutes Maß an Freiheit mit Entscheidungs- und Gestaltungsspielräumen, um sich wohl zu fühlen und tatkräftig entfalten zu können. Sie möchten mit Vertrauen geführt werden und wünschen sich mehr Führungskräfte als Mentoren auf Augenhöhe statt kontrollierender Chefs. Ein starkes Team, das gemeinsam an einem Strang zieht und Ziele verfolgt ist vielen ebenfalls wichtig. Eine Unternehmenskultur, in der echte Macher/innen nicht nur still geduldet, sondern Wandel explizit gewünscht ist.

Ich empfehle Generalisten daher, statt täglich stumpf nach Stellen in Jobbörsen zu suchen, gezielt Arbeitgeber, Branchen, Produkte oder Dienstleistungen zu finden, die sie interessieren und mit denen sie sich persönlich identifizieren können – und erst dort nach Stellen zu suchen, die zu ihren Werten, Zielen und Stärken sowie zu ihrem Erfahrungswissen der letzten Jahre passen.

Manchmal beginnen wir im Coaching, uns passende Jobtitel zu überlegen und stellen fest, dass diese Liste unendlich lang und die Aufgaben sehr breit werden – so viele automatisierte Job-Suchen können Sie bei Monster, Stepstone & Co. gar nicht hinterlegen. Die gezielte Suche nach Arbeitgebern und dort auf ihren Karriere-Seiten nach Stellen ist die Strategie, die fast alle Generalisten zielgenauer zum nächsten Job führt.

Generalisten, akzeptiert euch!

Auch wenn ich mich hier wiederhole: Solange Sie den Generalisten in sich verdammen, nicht an Ihre Stärken glauben und überhaupt fest davon überzeugt sind, dass jeder Arbeitgeber doch eh nur Spezialisten eine Chance gibt, wird Ihr Weg als Jobwechsler steinig und schwer sein. Naja, bei einigen Hardcore-Generalisten habe ich auch den Eindruck, dass das Erreichen eines Zieles für sie selbst nur dann einen Wert hat, wenn es ein besonders steiniger Weg dorthin war. Leichtigkeit? – Fehlanzeige. Wie ist es bei Ihnen?

Die Beschäftigung mit der Frage, wohin Sie der nächste Karriereschritt führen soll und insbesondere die aktive Jobsuche machen erst dann Sinn, wenn Sie sich als Generalist/in mit Ihren besonderen Stärken selbst akzeptieren – im besten Fall sogar stolz darauf sind. Es ist Ihre eigene innere Haltung als Generalist, die darüber entscheidet, welche Suche nach spannenden Jobs und Wirkungsraum versprechenden Arbeitgebern Sie sich selbst erlauben. Es ist Ihre Entscheidung, wie selbstbewusst Sie sich mit Ihrer Bewerbung als bekennender Generalist zu erkennen geben und wie klar Sie auch in die Gespräche mit potenziellen Arbeitgebern gehen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir in Zukunft sowohl Generalisten als auch Spezialisten in unserer Arbeitswelt benötigen – womöglich sogar stärker Generalisten. Denn es wird in Zukunft immer mehr darauf ankommen, sich als Arbeitnehmer innerhalb einer Organisation flexibel sowohl auf neue Themenfelder als auch unterschiedliche Team-Konstellationen einstellen zu können. Zusammenarbeit in Projekten, agiles Arbeiten, vielleicht sogar der temporäre Wechsel zwischen Führungs-, Projekt- und Experten-Rolle werden zunehmen. Generalisten trainieren und lieben Flexibilität, Spezialisten werden sich hierbei tendenziell schwerer tun.

Extra: 5 Tipps für Generalisten-Bewerber in der Corona-Krise

1. Akzeptieren Sie sich als Generalist und erkennen Sie Ihre Stärken

Was macht Ihr vielfältiges Erfahrungswissen als Generalist aus, was fällt Ihnen besonders leicht, macht Ihnen wirklich Freude und unterscheidet Sie auch positiv von Spezialisten? Es sind auch solche Fähigkeiten, die gerade jetzt bei vielen Arbeitgebern gezwungen zum Wandel in der Krise gefragt sind.

2. Werden Sie sich Ihrer Werte im Leben und Beruf bewusst

Im Erleben der Krise haben viele Arbeitnehmer ihre Werte neu reflektiert und erkannt, was für sie im Leben und Beruf in Zukunft wirklich zählt. Also, was sollte für Sie alles in den nächsten Jahren in einer Position und bei einem Arbeitgeber erfüllt sein, damit es Ihnen dort gut geht, Sie motiviert sind und Ihre vielfältigen Stärken erfolgreich einbringen können? Bleiben Sie sich treu – trotz und aufgrund der Krise.

3. Suchen Sie nicht irgendwelche Stellen, finden Sie IHREN Arbeitgeber

Viele Branchen sind stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen, andere erleben einen ungeahnten Aufwind. Als echter Generalist sind Sie nicht auf eine Branche festgelegt. Also, für welche Branchen, Produkte oder Dienstleistungen mit Zukunft schlägt Ihr Herz, welche Arbeitgeber passen hierzu und welche offfenen Stellen sprechen Sie mit Ihrer Berufserfahrung dort an?

4. Geben Sie sich in Lebenslauf & Anschreiben als Generalist zu erkennen

Zeichnen Sie ein umfassend breites Bild Ihrer bisherigen Positionen im Lebenslauf und machen Sie sich so als Generalist richtig greifbar. Nutzen Sie das Anschreiben, um Klarheit für die gemeinsame  Zukunft zu schaffen, welche Ihrer vielen Kompetenzen und Erfahrungen Sie speziell für diese Position für besonders wertvoll halten. Wenn Sie sogar einen Bezug zur Corona-Krise und den Herausforderungen für dieses Unternehmen schaffen können, dann rein damit.

5. Prüfen Sie bei Jobangeboten, ob Ihre Spielwiese groß genug ist

Viele Generalisten können sich in Gesprächen gut verkaufen und schlagen beim erstbesten Jobangebot zu schnell zu. Die Gefahr in der Krise und rückläufigen Stellenausschreibungen ist umso größer. Klären und hinterfragen Sie im Austausch mit einem potenziellen neuen Arbeitgeber, ob Sie als Generalist dort wirklich willkommen sind und auch jene „Spielwiese“ erhalten, die Sie benötigen, um einen guten Job zu machen und nachhaltig erfolgreich zu sein.

Und …

Auch wenn sich der Arbeitsmarkt als Folge der Corona-Krise verfinstert, so ist dies kein Grund – insbesondere als derart anpassungsstarker Generalist – in der Rolle als Bewerber jetzt zum demütigen Bittsteller zu mutieren. Denn diese eintönige Verkleidung passt nicht nur zu Ihnen als Generalist, sondern turnt auch Personaler und Chefs auf der Suche nach neuen Kollegen ab.