Online-Beratung

Artikel zum Thema Online-Beratung, erschienen in der Ausgabe von punktum März 2015, der Zeitschrift des Schweizerischen Berufsverbandes für Angewandte Psychologie, verfasst durch Hanni Bütler, Psychologin FH und Partnerin bei ConsX Online GmbH. Artikel als PDF.

Wir sind online – wo seid ihr?

„Beratung via Internet“? „Beratung ohne einen persönlichen Kontakt kann doch nicht funktionieren: viel zu anonym, kompliziert, oberflächlich…!“ Mit solchen und ähnlichen Kommentaren wird man heute noch konfrontiert, wenn man ‚Online-Beratung’ erwähnt. Inzwischen spricht jedoch einiges dafür, dass diese Beratungsform die Face-to-face-Beratung zunehmend ergänzen wird.

Anhaltende Skepsis trotz erwiesener Wirksamkeit

Zahlreiche Studien aus unterschiedlichen Online-Beratungsfeldern belegen, dass das Ergebnis von Online-Beratungen mit herkömmlichen Beratungsmethoden vergleichbar ist. Die Psychologen Marc Urben und Andreas Maercker von der Universität Zürich haben sich mit mehreren Studien über die Wirksamkeit internetbasierter Therapien auseinander gesetzt. Dabei kamen sie zum Schluss, dass es für den Beratungserfolg keine grosse Rolle spielt, ob die Beraterin anwesend ist (Face-to-face) oder ob die Kommunikation schriftlich und zeitlich verzögert geschieht. Urben & Maercker (2011) betonen, dass ein Ratsuchender sich letztlich selber verändern muss, wobei er beraterisch nur unterstützt und begleitet werden kann. Erstaunlich ist auch, dass gemäss den beiden Autoren die Beratungsbeziehung in Online-Beratungen von den Ratsuchenden häufig sogar als besser eingeschätzt wird als in vergleichbaren Face-to-face-Settings. Als nicht geeignet zeigte sich die Beratung über Internet aufgrund der untersuchten Studien in akuten Krisensituationen und bei schweren Persönlichkeitsstörungen.

Information und Beratung via Internet ist gefragt

Das Internet ist für immer mehr Menschen die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, sich Informationen über ein Thema zu verschaffen, Ferien oder Termine zu buchen, Angebote zu vergleichen, zu shoppen, etc.. Mehr als 85% der Schweizer Bevölkerung über 14 Jahren nutzt das Internet regelmässig für Interaktionen mittels E-Mails, Chat oder Videotelefonie. (Bundesamt für Statistik, 2014a). Auch die Palette der psychologischen Unterstützungsmöglichkeiten passt sich langsam der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung an. Im Internet finden sich immer mehr Online-Angebote in den Bereichen Psychotherapie, Lebensberatung, Coaching und Laufbahnberatung.

Was ist Online-Beratung?

In der Literatur und in der Praxis finden sich viele unterschiedliche Bezeichnungen wie beispielsweise E-Beratung, virtuelle Beratung, Online-Beratung. Am häufigsten verwendet wird der Begriff ‚Online-Beratung‘. In dieser Beratungsform werden unterschiedliche Kommunikationskanäle genutzt. Allen gemeinsam ist, dass die Kommunikationspartner sich nicht am selben Ort befinden:

  • Synchrone Kommunikationsformen wie Video Chat und Chat, bei denen sich die Teilnehmer zeitgleich austauschen
  • Asynchrone Kommunikationsformen wie E-Mail und Newsgroups, bei denen sich die Teilnehmerinnen zeitversetztaustauschen

Wer im Netz nach psychologischer Beratung sucht, kann die Angebote grob in drei Gruppen einteilen: Online-Information, Online-Beratung und Online-Therapie. Stark vertreten unter den Anbietern sind öffentlich geförderte kostenlose Online-Plattformen mit haupt- und/oder ehrenamtlichen Mitarbeitenden (z.B.www.safezone.ch, www.143.ch). Ebenfalls kostenlose Angebote existieren im Rahmen von laufenden wissenschaftlichen Studien im Bereich ‚Online-Therapie’ (z.B. www.online-therapy). Schliesslich findet man kostenpflichtige Angebote von psychologisch ausgebildeten Beratungspersonen, die im Internet einen virtuellen Praxisraum anbieten. Beispiele dafür sind Plattformen wie www.psy-help-online.ch, www.consx.ch oder www.paarberatung.ch. (Eine Liste zu Online-Angeboten ist unter www.onlineberatungen.com zu finden).

Wie funktioniert Online-Beratung?

Der Beratungsablauf im Online-Beratung ist grundsätzlich ähnlich wie bei der Face-to-face-Beratung. Vereinfacht dargestellt könnte dies wie folgt aussehen: Frau Meier überlegt sich eine berufliche Neu-Orientierung. Sie kontaktiert einen Online-Berater und vereinbart mit ihm das Beratungsziel und das Vorgehen. In der folgenden Arbeitsphase entwickelt sie zusammen mit dem Berater Ideen, erhält Klarheit über ihre Stärken und mögliche Stolpersteine. Die Tipps zum Lebenslauf und zum Bewerbungsvorgehen setzt sie Schritt für Schritt direkt um und gewinnt dadurch mehr Sicherheit und Zuversicht. Am Schluss der Beratung wird der Prozess evaluiert und die Erreichung des Beratungsziels überprüft. Nicht nur der Beratungsinhalt spielt für den Erfolg einer Online-Beratung eine Rolle. Ebenso wichtig ist eine Software, auf die sich der Berater und der Ratsuchende verlassen können. Seriöse Anbieter arbeiten mit einer webbasierten Software, die eine hohe Sicherheit bezüglich Datenübermittlung und Datenhaltung gewährleistet. Auf dem Markt gibt es entsprechende Beratungstools, die in Lizenz zu erwerben sind. Sie bieten die Möglichkeit, verschlüsselt auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren und sind einfach bedienbar. Inzwischen gibt es auch Online-Beratungsangebote, bei denen der Ratsuchende ausschliesslich mit einer Software interagiert und nur noch wenig oder sogar gar keinen Kontakt mehr hat zu einer Beraterin.

Nach der Pionierphase ist die Professionalisierung in vollem Gange

Anhand eines 3-stufigen Phasenmodells beschreibt Kühne (2014) die fortschreitende Institutionalisierung der Online-Beratung. In der Pionierphase (1995-2002) erfolgten Beratungen noch über unverschlüsselte E-Mails und Chats. Seit 2003 befinden wir uns gemäss Kühne in der zweiten Phase, der ‚Objektivierung’: Das Arbeitsgebiet Online-Beratung wird systematisch erforscht, die Entwicklung von Richtlinien und Standards ist erfolgt oder noch im Gange. Seit 2005 erscheint das ‚e-beratungsjournal.net’, eine Fachzeitschrift für Online-Beratung und computervermittelte Kommunikation. Auf der Homepage der Föderation der Schweiz. Psychologen (FSP) finden sich „Qualitätskriterien für psychologische Angebote im Internet“ (www.psychologie.ch) und es gibt diverse Fortbildungsmöglichkeiten und laufend neue Fachbücher zum Thema. Die Online-Beratung hat sich zu einem eigenständigen Feld der Beratungsarbeit entwickelt und wichtige Grundlagen zur Professionalisierung sind etabliert. Nach Kühne (2014) ist noch ungewiss, wann wir in die dritte und letzte Phase der ‚vollständigen Institutionalisierung’ eintreten. Gemäss dem Autor würde diese einhergehen mit einer ‚allgemeinen Anerkennung’ der Online-Beratung, d.h., dass diese Beratungsform als hochwertiges Produkt in der Fachwelt und der breiten Öffentlichkeit bekannt und verankert ist.

Gibt es eine typische Zielgruppe?

Zur Frage, wer zu den ‚Potenziellen Kunden’ von Online-Beratung gehört, finden sich noch wenige Informationen, die sich verallgemeinern lassen. Gemäss Erfahrungen aus dem Bereich von kostenpflichtigen Online-Angeboten nutzen vor allem gut ausgebildete Menschen in der mittleren Lebensphase diese Beratungsform. Als Gründe für ihre Wahl nennen die Ratsuchenden „terminliche Freiheit“, „räumliche Unabhängigkeit“ sowie „höhere Anonymität“ bei sensiblen Themen (Koch 2012). Insgesamt zeigen Ratsuchende aus Sicht von Kühne (2014) wenig Berührungsängste im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Online-Beratungen. Mit dieser Beratungsform werden zudem Menschen in ländlichen Gebieten besser erreicht und/oder auch diejenigen, die nur eingeschränkt mobil sind. Ideal ist sie auch für Berufstätige mit Terminschwierigkeiten oder Menschen, die auf einen Termin für eine Face-to-face-Beratung warten.

Die Zukunft ist online!

Wer heute ein neues Angebot zur Online-Beratung plant, kann von einer Fülle von Erfahrungen, Studien und Veröffentlichungen profitieren. Und das Potenzial von psychologischer Online-Beratung im deutschsprachigen Raum ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Mögliche Gründe dafür mögen wie bereits erwähnt die immer noch herrschende Meinung sein, psychologische Themen seien nur in Form einer persönlichen Begegnung bearbeitbar. Weiter ist eine grundsätzliche Vorsicht vor der Technik auszumachen, die in weiten Bereichen der Psychologie herrscht und die viele Beraterinnen hindert, Online-Beratung anzubieten. Dass sich Online-Beratung breit durchsetzt, ist jedoch für die meisten Exponenten nur eine Frage der Zeit. An der Veranstaltung des ZüPP (Kantonalverband der Zürcher Psychologen und Psychologinnen) vom 19.11.2014 zum Thema Onlinetherapien und e-Selbsthilfeprogramme bringt dies Andreas Maercker von der Universität Zürich wie folgt auf den Punkt: „In naher Zukunft wird die Frage nicht mehr sein, welche Richtung ein Therapeut vertritt, sondern ob er Online-Beratungen oder Face-to-face-Beratungen durchführt“. Dennoch ist es schwierig vorauszusehen, welche Form der Online-Beratung sich mittel- bis langfristig durchsetzen wird. Die Bandbreite der Möglichkeiten bewegt sich von Online-Beratungen mit direktem Kontakt zu einer Beraterin bis hin zu voll automatisierten interaktiven Selbstcoaching-Programmen, bei denen kein Berater mehr nötig ist. Weinhardt (2013) regt an, dass man sich gleichwohl nicht in Grundsatzdiskussionen über vermutete Entwicklungen verlieren soll. Vielmehr gelte es, einen pragmatischen Mittelweg zu beschreiten zwischen systematischen Bedarfsanalysen und der flexiblen Anpassung an die sich ständig verändernde Mediennutzung. Aus meiner Sicht bedeutet dies, die bereits vorhandenen Erkenntnisse praktisch zu nutzen und durch ein innovatives learning by doing weiter zu vertiefen.

Erfahrungen

Als Berufs- und Laufbahnberaterin führe ich seit einigen Monaten Online-Beratungen durch. Meine bisherigen Klienten und Klientinnen waren zwischen 30 und 50 Jahre alt und beruflich gut aufgestellt. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir der textbasierte Austausch sehr entspricht. Ich empfinde es als spannende Herausforderung, meine Live-Beratungskonzepte in die schriftliche Form zu übersetzen. Dabei konzentriere ich mich mehr als im Face-to-face-Setting darauf, mich sehr präzise auszudrücken. Wichtig ist die Fähigkeit, zwischen den Zeilen lesen und das Wichtige heraus filtern zu können. Ein Vorteil der zeitlichen und räumlichen Distanz besteht darin, dass ich mir gewisse Aussagen nochmals in Ruhe durch den Kopf gehen lassen kann, bevor ich dem Klienten antworte. Hilfreich ist zudem die Möglichkeit, den Meldungsverkehr immer wieder durchlesen und wichtige Punkte nochmals aufnehmen zu können. Die Rückmeldungen meiner Klienten waren bisher durchwegs positiv. Überrascht hat mich, wie schnell man sich online gegenseitig ‚ans Herz wächst’, ohne sich je getroffen zu haben. Meine bisherige Erfahrung zeigt: Online-Beratung funktioniert und macht Spass!

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Literatur:

  • Eichenberg, Ch., & Kühne, S. (2014). Einführung Onlineberatung und –therapie. München: Ernst Reinhardt Verlag.
  • Koch, B. (2012). ‚online-Coaching’: ein geschriebener Dialog unabhängig von Zeit und Raum. In H. Geissler & M. Metz, M. (Hrsg.): E-Coaching und Online-Beratung. Wiesbaden: Springer Verlag.
  • Urben, M. & Maercker, A .(2011). Psychotherapie über das Internet – wie geht das? In: ARS MEDICI 24/2011 (unter www.rosenfluh.ch / Verlags AG für medizinische Fachthemen)
  • Weinhardt, M. (2013). Zur Zukunft der Onlineberatung. e-beratungsjounral.net, 9. Jahrgang, Heft 1, Artikel 3 – April 2013