Der Coach als Begleiter

von Sabine Windlin, NZZ vom 14.1.2013

Karrierecoaching Laufbahncoaching weiss coaching ZürichMehr Sinn im Leben, Schwung in der Beziehung, Erfolg im Job – die Coaching-Branche boomt und bietet Hilfe in allen Lebenslagen. Jetzt soll der Coach auch eidgenössisch anerkannt werden und heisst dann «Begleiter von Veränderungsprozessen».

Die Äusserung «Ich bin im Coaching tätig» lässt einen oft etwas ratlos zurück. Denn einerseits ist der Begriff in aller Munde, anderseits weiss niemand so recht, was damit gemeint ist. Während sich der auf die Finanz- und IT-Branche spezialisierte Consultant durch das Erbringen einer klar definierten Dienstleistung etabliert hat, bewegt sich der Coach in einer Grauzone: irgendwo zwischen dem Psychologen, dem Sozialarbeiter und dem Guru.

Ein bunter Strauss

Coaching ist vieles: die Begleitung des übergewichtigen Nachbars beim Joggen (Personalcoaching), die Beratung von Eltern mit Erziehungsschwierigkeiten (Familiencoaching) oder die Betreuung von Berufsleuten mit Veränderungswünschen (Laufbahncoaching). Das Praktische daran: Coach kann sich jeder nennen. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, und es existieren keine Qualitätsstandards für diese Tätigkeit. Erwartet werden von den marktführenden Weiterbildungsinstituten meist eine dreijährige Berufslehre und vier Jahre Berufserfahrung, manchmal auch ein Hochschulabschluss. Die Kosten für die berufsbegleitenden Lehrgänge liegen zwischen 15 000 und 30 000 Franken. Dann schwärmen die Coachs aus in die Persönlichkeits-, Organisations- und Führungsentwicklung, wobei das Grundwort «Entwicklung» durchaus bewusst gewählt ist, wohl um nicht falsche Erwartungen zu wecken. Nicht die Anvisierung eines konkreten Ziels ist Sinn und Zweck der meisten Coachings, sondern die Begleitung eines Prozesses.

Oft ist die Rede von Entwicklungspotenzial, Perspektivenwechsel und Ressourcenaktivierung, und man fragt sich mitunter, ob es wirklich darum geht, den Kunden eine praxistaugliche Hilfe zu bieten, oder ob es nicht allenfalls der sich anbietende Coach selber ist, der in einem Prozess der Selbstfindung steckt. Die Ratschläge, mit denen sich Coachs auf ihren Websites anpreisen, hören sich jedenfalls so an: «Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit gezielt nach innen», heisst es etwa, «erkennen Sie eigene Handlungs- und Denkmuster», «finden Sie zu einem bewussteren Umgang in Ihrem Alltag» oder «lösen Sie sich aus der Spirale von Zwängen und Forderungen». Hält ein Coach einen Vortrag vor internationalem Publikum, dürfen Begriffe wie Empowerment oder Awareness nicht fehlen – auf gut Deutsch: Bestärkung und Bewusstheit. Allein in der Deutschschweiz gibt es über 50 Institutionen, die Leute zu Coachs ausbilden und ihnen zu einem im Arbeitsmarkt mehr oder weniger bekannten Titel verhelfen: zum Coach BSO, verliehen vom Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung, zum Coach SCA, verliehen von der Swiss Coaching Association, zum Coach ECA, verliehen von der European Coaching Association, oder zum Coach ICF, verliehen von der International Coach Federation. Unabhängig vom Titel zeichnen sich die Coachs durch ein mehr als nur intaktes Selbstbewusstsein aus und preisen sich als Alleskönner an, die potenziellen Kunden, verunsicherten Menschen, Hilfe versprechen – egal ob diese unter einem Suchtproblem, Stimmungsschwankungen oder einem Kriegstrauma leiden. Um ein wenig Licht ins Dickicht zu bringen und dafür zu sorgen, dass das Image des Coachings nicht geschädigt wird, soll nun der Coach nach dem Ablegen einer Prüfung einen eidgenössisch anerkannten Fachausweis erlangen können. Inhaber dieses Titels sollen dereinst seriös in Firmen zum Einsatz kommen oder auf die berufliche Selbständigkeit vorbereitet werden

Auffallend ist: Die Coaching-Branche ist stark mit sich selbst beschäftigt. In Coaching-Verbänden organisierte Mitglieder laden sich gegenseitig an ihre aufwendig inszenierten Kongresse ein und bieten sich gegenseitig als Referenten und Dozenten auf. Ein wichtiger Player dabei ist das Departement Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), das den wissenschaftlichen Überbau liefert, indem es «Wirkfaktoren und Kongruenzerleben im Führungskräfte-Coaching» oder die «Risiken und Nebenwirkungen von Coaching» erforscht. Die Hochschule führt jährlich eine Marktumfrage bei Schweizer Coachs durch, um deren Befindlichkeit auszuloten. Die neuste Befragung legte den Fokus auf die Frage: «Was verstehen Coachs unter Coaching?» Offenbar besteht diesbezüglich auch innerhalb der Branche Klärungsbedarf. Interessant ist die Typologie des Coachs, die sich durch die Befragung – sozusagen als Nebenprodukt – ergeben hat. Der typische Coach ist nämlich eine Sie: 49-jährig, selbständig und in Zürich wohnhaft. Ferner hat sie acht Jahre Berufserfahrung, verfügt über einen (Fach-)Hochschulabschluss in Wirtschaft oder Psychologie, arbeitet Teilzeit und belegt Weiterbildungskurse. Konkret begleitet sie jährlich 10 Prozesse à 7 Sitzungen, die 89 Minuten dauern, und verrechnet die Stunde mit 185 Franken, wobei die Zahl mit Vorsicht zu geniessen ist. Im Coaching-Business wird gemeinhin nicht nach Stunden abgerechnet, sondern nach «Beratungsinteraktionen». Ob Mediation, Supervision, Emotionsregulation, Trancekommunikation, Psychosynthese, Transaktions- oder Existenzanalyse – ständig alimentiert sich die Branche mit neuen Begriffen. Dadurch schafft sie zwar nicht mehr Klarheit, suggeriert aber, Familien und Firmen mithilfe der stets neusten «wissenschaftlich erprobten Methoden» aus unerfreulichen Situationen, sogenannten Blockaden, zu führen. Eine selbsternannte «Coach Akademie Schweiz» bietet Basis-, Master- und Fachlehrgänge nach einem Dr. Milton Erickson an, deren Teilnehmer sich nach sechs Tagen mit dem Titel «Systemischer Trance Coach» schmücken dürfen. Mittels «Integrative Body-Mind-Training» soll die Integration «von Körper, Kognition, Emotion und Spiritualität» herbeigeführt werden, während das «wingwave-coaching» die «Regulation von Leistungsstress und bilaterale Hemisphärenstimulation» ermöglicht. Hoch im Kurs steht auch die «Symbolon-Methode». Diese soll unter Zuhilfenahme von Bildern angeblich dabei helfen, die Teamentwicklung in Firmen zu optimieren oder das Rollenverständnis innerhalb von Familien zu verbessern.

Die Lösung liegt beim Kunden

Selbstverständlich sind kreative und unkonventionelle Ansätze auch in der Bewältigung von Problemen erlaubt. Aber muten seriöse Firmen, Verbände oder Verwaltungseinheiten – und diese werden von den Coachs als Referenzen genannt – ihren Mitarbeitenden nicht zu viel zu? Unaufhörlich ist die Rede von Selbstkongruenz, Selbstmanagement und Selbstwirksamkeit. Und zu welchem Problem der Coach auch immer beigezogen wird: Alles ist bei ihm «systemisch», «situationsangemessen» und «lösungsorientiert». Letztgenanntes impliziert, dass es auch Beratungen gibt, die darauf abzielen, statt Probleme zu lösen, neue zu kreieren. Der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist es ein echtes Anliegen, dass, «wo Coaching draufsteht, auch Coaching drin ist». Dass ein Coaching den erhofften Erfolg bringe, könne jedoch nie garantiert werden. Die «Lösungsverantwortung», betont die ZHAW, liege beim Kunden.

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